“Grau is' alle Theorie – entscheidend is' auf'm Platz!”
Alfred Preißler brachte es schon damals im Eingangszitat blitzgescheit in nur wenigen Worten auf den Punkt, wofür ich jetzt wahrscheinlich zwei DIN A4 Seiten benötigen werde. Aber es stimmt: man kann viel erzählen, doch wirklich relevant ist nur das Ergebnis. Aber der Reihe nach: Häufig fällt es schwer, sich von seinem Rechner zu trennen. Eine imposante Anzahl an Meetings beherrscht mittlerweile unseren Tagesablauf und bindet uns zudem bei verschlossener Tür an unser Büro. Unabhängig davon, dass die Teilnahme an irrelevanten Meetings deutschen Unternehmen jährlich ca. 56 Mrd. EURO kostet (Quelle: Studie Next Work Innovation 2022), gibt es hier zudem noch ein ganz anderes Problem. Wir konzentrieren uns häufig nicht mehr auf das Wesentliche - auf das, was unseren Kunden wichtig ist: effiziente Wertschöpfung.
Hierzu müsste man sich zunächst daran erinnern, was Wertschöpfung gleich nochmal ist und wo diese stattfindet. Um diese Fragen zu beantworten, hilft es, die Mails und Teams-Meetings mal für einen Moment ruhen zu lassen und sich die Kernkompetenz des eigenen Unternehmens einmal vor Augen zu führen. Bei einem produzierenden Unternehmen bspw. findet der Großteil der Wertschöpfung - wenig überraschend - in der Fertigung statt. Jeder Bearbeitungsschritt im Sinne der Kundenspezifikation (wichtig!) macht das Produkt aus Sicht Ihres Kunden wertvoller und ganz zum Schluss ist er bei Ablieferung einer Top-Qualität sogar bereit hierfür zu bezahlen. Wir müssen also vom PC aus den Weg in die Fertigung finden - wo war sie denn noch gleich?
"Mailand oder Madrid - Hauptsache Italien!" (Andi Möller)
Genau. Gute Ortskenntnisse sind zeitweise unbezahlbar. Heutzutage ist tatsächlich eine gewisse Prioritätenverschiebung in vielen Unternehmen zu beobachten. Und zwar in der Form, als dass Mitarbeitende eines Unternehmens immer weniger Kenntnis darüber haben, was wirklich wichtig ist für den Kunden und eine Fertigung schon lange nicht mehr von innen gesehen haben. Häufig verbringen sie ihre wertvolle Zeit leider nicht mit kundenrelevanten und somit wertschöpfenden Tätigkeiten. Und dies geschieht nicht durch Lustlosigkeit - keineswegs: es sind diverse Termine und unkoordinierte Projekte, welche das Personal dem relevanten Geschehen entziehen. Rundgänge in der Fertigung werden also zunehmend seltener; somit geht wichtiges Wissen darüber verloren, wie die eigenen Produkte hergestellt werden. Ein wichtiges Indiz einer starken Unternehmenskultur ist es bspw., wenn nicht nur der Produktionsleiter weiß, welche die wichtigsten Qualitätsmerkmale der Produkte sind, sondern auch seine Kolleginnen und Kollegen aus den übrigen Unternehmensbereichen. Wo liegen die besonderen Herausforderungen in der Produktion dieser Produkte? Was spricht dagegen, dass dieses Wissen auch im Vertrieb oder im Marketing vorliegt? Natürlich gar nichts - es ist sogar essentiell. Denn nur so entsteht ein gemeinsames Verständnis davon, was für den Kunden wirklich wichtig ist.
Im Lean Management wird der Ort der Wertschöpfung “Genba” genannt. Für viele japanische Unternehmen - allen voran natürlich Toyota - ist der regelmäßige Besuch des “Genba” von großer Bedeutung und maßgebend für das richtige Gespür von Respekt, Qualität und Effizienz. Hier spielt die Musik! “Genchi Genbutsu” beschreibt zudem die Situation, sich am Ort des Geschehens regelmäßig selbst einen Eindruck zu verschaffen und sich in die Arbeitssituationen in der Art hineinzuversetzen, als führe man sie sozusagen selbst aus. Rangordnungen oder Jobbezeichnungen sollten hierbei keine Rolle spielen und sind sogar kontraproduktiv. Diskussionen vor Ort zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden in der Produktion sind immer nur dann besonders fruchtbar, wenn diese authentisch auf Augenhöhe ablaufen.
“Zur Schiedsrichterleistung will ich gar nichts sagen, aber das war eine Frechheit was da gepfiffen wurde” (Stefan Reuter)
Manchmal kann man gewisse Entscheidungen tatsächlich nur schwer nachvollziehen - hätte die Entscheiderin oder der Entscheider mal etwas mehr Fachkenntnis gehabt. Meine Erfahrung bestätigt, dass sich das Personal an den Fertigungslinien durch die regelmäßige Anwesenheit der Führungskräfte aus den diversen Unternehmensbereichen nicht nur wertgeschätzt und ernst genommen fühlt, sondern auch in Entscheidungen integriert sieht. Das Produktionspersonal wird somit angehört und kann in diesem Rahmen Probleme und Verbesserungsvorschläge mitteilen. Immerhin wird dort nichts geringeres als das Produkt hergestellt, welches der Firma Umsätze bereitet und die Existenz der Firma sichert. Sowohl das Produkt als auch die handwerkliche oder maschinelle Tätigkeit erhalten durch ehrliches Interesse einen viel höheren Stellenwert im Unternehmen. Ein weiterer Vorteil liegt zudem darin, dass sich das Wissen über die eigenen Herstellungsprozesse auch bei Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Produktionsbereiche verbreitet. Gar nicht schlecht: denn häufig ist es leider so, dass der zuletzt erwähnte Personenkreis teilweise nur noch wenig Kenntnisse über die Herstellung der eigenen Produkte besitzt. Wie gesagt: Termine, Termine, Termine. Das hat in der Regel nichts mit Unlust zu tun.
In der Realität zeigt sich dies oftmals als problematisch: werden doch in viel zu vielen Meetings Dinge entschieden, die einen hohen Einfluss auf Qualitäts- und Fertigungsprozesse haben. Somit ist es nicht überraschend, dass die meisten Probleme in der Fertigung im Hinblick auf Produktqualität, Ausschuss oder auch Liefertreue auf Systemprobleme in der Organisation zurückzuführen sind. Nur ein kleiner prozentualer Anteil fällt tatsächlich auf das Personal am Ort der Wertschöpfung. Klassische Fehlentscheidungen mangels Background eben. Grau ist eben alle Theorie…
"Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl." (nochmal Andi Möller)
Ja, aber auch eben nur vom “Feeling” her… Wirklich wissen, ob alles in Ordnung ist, weiß nun genau wer? Natürlich der Ortskundige. Hin und wieder lohnt sich der Blick in die Vergangenheit: Noch vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren waren nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion für den Chef die wichtigsten “Stakeholder” im Unternehmen. Danach kam lange niemand - und das aus gutem Grund. Sie waren es, die die Produkte herstellten und die Qualität erzeugten, die der Kunde nach Anlieferung direkt in seinen Händen halten wird. Die Fertigung war das Zentrum des Unternehmens und daher die erste Anlaufstelle für den Chef oder die Chefin im Rahmen der betrieblichen Morgenroutine, noch bevor das eigene Büro betreten wurde. Und wenn das Produktionspersonal zufrieden war, hatte der Chef oder die Chefin vom Feeling her eben ein wirklich gutes Gefühl.
Letztendlich bleibt festzuhalten, dass eine Organisation - allen voran die darin agierenden Führungskräfte - wissen sollte, wie sprichwörtlich der “Hase läuft”. Es ist in vielen Firmen ein kulturelles Umdenken notwendig und wieder mehr Sensibilität für den Genba von Nöten, um Wissen und Vertrauen untereinander aufzubauen und um Hierarchieebenen zu verbinden. Ich kann an dieser Stelle nur dazu ermutigen, sich die Prozesse vor Ort anzusehen, mit den Menschen in die Diskussion zu gehen, sich gegenseitig (!) im Betrieb zu beraten und sich etwas mehr erklären zu lassen. Führungskräfte müssen Probleme aufnehmen und für die Menschen, die Wertschöpfung betreiben, aus dem Weg räumen. Das ist die Kernaufgabe. Silos sollten auf diesem Wege abgebaut und ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt werden - mit dem Verständnis, dass alle Mitarbeitenden an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: für zufriedene Kunden. Erkundigen Sie sich gerne nach Möglichkeiten, wie Sie Ihre Teams wieder auf’s Spielfeld bekommen und welche Kommunikationsmöglichkeiten es an dieser Stelle gibt. In unseren Lean Leadership Workshops greifen wir dieses Themengebiet gezielt auf.
Menschen vertrauen Personen, die sie real sehen und nicht nur von Bildschirmen oder aus E-Mails kennen. Machen Sie sich als Führungskraft ansprechbar und vor allem sichtbar (!) für Ihre Teams. Das schöne hieran ist, dass der erste Schritt so einfach zu realisieren ist. Sie können in fünf Sekunden damit anfangen: “Entscheidend is’ auf’m Platz!”